wunderpunkt ist ein digitaler Ort, wo von Wundern und Wunden gesprochen wird. Ob Podcasts, Kochsendungen, Teetasting, oder gemeinsames Krippenbauen auf Minecraft – Begegnung und Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt. Ein Team von sechs Leuten stellt sich euren Themen und Fragen: Über Hoffnungen und Zweifel, über Freude und Ängste und über das, woran ihr glaubt. "Vielleicht erfahren wir so gemeinsam, welche Geschichte Gott mit uns schreiben möchte", lädt Jugendseelsorger Max Moll ein.
Seit 1. März 2017 ist Pfarrer Tobias Schwaderlapp Diözesanjugendseelsorger für das Erzbistum Köln. Zugleich ist er Leiter des Bereichs Seelsorge für junge Menschen im Erzbischöflichen Generalvikariat und Rektor der Jugendbildungsstätte Haus Altenberg.
Tobias Schwaderlapp, geboren 1982 in New York, wurde 2008 zum Priester geweiht und war anschließend Kaplan in Düsseldorf. Von 2009 bis 2012 war er zum Studium an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom freigestellt. Nach seiner Rückkehr wirkte er als Kaplan im Seelsorgebereich Köln-Ostheim, Rath-Heumar und Neubrück, bevor er im August 2015 das Amt des Stadt- bzw. Kreisjugendseelsorgers in Köln und im Rhein-Erft-Kreis übernahm.
Diözesanjugendseelsorger Tobias Schwaderlapp sieht die Jugendpastoral im Erzbistum Köln vor großen Herausforderungen. In einem ausführlichen Interview mit domradio.de äußert er sich zu Themen wie der Entkirchlichung junger Menschen, den Auswirkungen der Coronapandemie oder den Chancen von Digitalisierung.
Mit einem sehr realistischen und ungeschönten Blick auf die Realität macht Schwaderlapp dennoch Hoffnungszeichen für eine neu aufgestellte Jugendpastoral aus:
Auszüge aus dem Interview:
DOMRADIO.DE: In den wöchentlichen Sonntagsgottesdiensten sind junge Menschen kaum noch zu finden. Und wenn, dann nur weil die Liturgie ausnahmsweise auf diese Zielgruppe abgestellt wurde. Wie sehr schmerzt Sie das?
Pfarrer Dr. Tobias Schwaderlapp (Diözesanjugendseelsorger und Rektor der Jugendbildungsstätte "Haus Altenberg"): Natürlich schmerzt das sehr. Trotzdem muss man das aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Zum einen ganz persönlich: Ich erlebe den Glauben als eine irrsinnige Bereicherung – das hat sich mir gerade im Lockdown gezeigt. Vor allem in durchaus anstrengenden und belastenden Momenten von Einsamkeit. Wenn Menschen keine Geborgenheit mehr in etwas Übergeordnetem finden – in etwas, das über sie hinausweist – dann stelle ich mir ihre Einsamkeit noch größer vor. Das ist sehr traurig und muss mir leid tun, weil da etwas ganz Entscheidendes fehlt.
Der andere Gesichtspunkt ist vielleicht etwas plumper, aber die Frage stellt sich doch: Wie soll es ohne Jugend mit unseren Gemeinden dauerhaft weitergehen? Dabei ist die Mitgliederrekrutierung für unser pfarrliches Leben, wie wir es gewohnt sind, überhaupt nicht mein Hauptthema ... Schmerzlich dabei ist vielmehr, ... dass der Erfahrungsraum des Religiösen abhanden gekommen ist und damit gerade in dieser besonderen Zeit eine wesentliche Kraftressource fehlt, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Ich treffe Jugendliche vielleicht nicht mehr in der Kirche an, aber woanders. Was wir im Moment erleben, ist Ausdruck einer Entkirchlichung, die wir allerdings schon seit Jahrzehnten beobachten, wenn ich da an unsere Bemühungen in der Erstkommunion- oder Firmkatechese denke und daran, dass nach der großen Feier immer nur ein Bruchteil der Kinder und Jugendlichen für die Kirche erreichbar bleibt ...
Wir leben in Zeiten eines großen Pluralismus. Das heißt, Sinnangebote werden angenommen, wenn sie als relevant erlebt werden ... Wir müssen erfinderisch sein und uns fragen: Wie können wir Orte einer religiösen Ersterfahrung gestalten?
DOMRADIO.DE: Selbst katholisch sozialisiert aufgewachsene Jugendliche, für die manchmal jahrzehntelang kirchliche Rituale und Feiern eine wichtige Orientierung bei der Suche nach Halt im Leben bedeuteten, kehren der Kirche entschieden den Rücken und differenzieren inzwischen genau zwischen ihrem persönlichen Glauben und der Institution Kirche, in der sie sich mit ihren Interessen, Lebensvorstellungen und -entwürfen nicht mehr repräsentiert sehen. Hinzu kommt die anhaltende Missbrauchsdebatte, die die Antihaltung der Jugendlichen zusätzlich verschärft. Ist Ihre Arbeit da nicht ein Kampf gegen Windmühlen?
Schwaderlapp: Nein, nur wenn ich an meine Arbeit den Anspruch stelle, eine religiöse Massenbewegung junger Leute auslösen zu wollen ... Ob Kinder und Jugendliche eine kirchliche Sozialisationserfahrung machen, hängt ganz wesentlich von persönlicher Zuwendung ab und dem Maß an Aufmerksamkeit für den Einzelnen. Dafür bedarf es des persönlichen Kontaktes zu einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin bzw. ganz allgemein zu jemandem, der diese Kirche für Jugendliche glaubhaft verkörpert und deren Botschaft authentisch lebt.
Das muss nicht immer unbedingt ein Priester oder eine Gemeindereferentin sein. Auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter in einem Trauercafé oder die Gruppenleiter von Pfadfindern und Messdienern können diese Beziehungsarbeit leisten. Nur eine gesichtslose Organisation ist wenig vertrauenerweckend. Es kommt also maßgeblich auf Beziehung an; darauf, tatsächlich Gesicht zu zeigen. Und es braucht mehr Seelsorge. Mir ist trotz eines vollen Terminkalenders immer wichtig, Zeit für geistliche Begleitung oder jetzt für eine besondere Vorbereitung der Adventsliturgie zu haben und hier mit dem Herzen dabei zu sein. Auch bei einer Firmbeichte, wo ein junger Mensch als einzelner in seiner ganzen Verletzlichkeit in den Blick gerät. Daraus entsteht mitunter eine ganze Reihe sehr interessanter, aber auch berührender Begegnungen, und zwar berührend und verändernd zuallererst für mich selbst.
Und was den Missbrauch angeht ... ich verstehe, dass das furchtbar abschreckt. Ich kann nicht behaupten, dass ich im letzten Jahr besonders stolz war, Priester zu sein. Aber ich habe eben auch erlebt, dass Kirche mehr ist als Missbrauch und Verbrechen – und dass Kirche mehr sein kann und mehr sein muss. Dazu gehört im Blick auf den Missbrauch und alles, was damit zusammenhängt, sich ordentlich und gründlich damit auseinanderzusetzen, wie man daraus lernen und für die Zukunft sicherstellen kann, dass so etwas Schreckliches nie mehr geschieht ... [Kirche] muss wieder zum Ort der Gotteserfahrung werden ...
DOMRADIO.DE: Welchen Anteil an der momentanen Entwicklung, dass sich Jugendliche schleichend von Kirche verabschieden, hat die Pandemie?
Schwaderlapp: Sie war ein Brandbeschleuniger. Von der Entwicklung als solcher bin ich nicht überrascht, aber von der Geschwindigkeit, mit der die Menschen die Kirche verlassen. Der lange Zeitraum der Kontaktbeschränkung während des Lockdowns, in dem Themen nicht von Angesicht zu Angesicht besprochen werden konnten und Videokonferenzen oder Zoomschaltungen nur defizitäre Behelfslösungen waren, hat sicher dazu beigetragen, dass die Krise im Erzbistum Köln zum Supergau wurde. Das Missbrauchsgutachten kam ja mitten im Lockdown. Das heißt, die Menschen hatten kaum Gelegenheit, sich über ihre Fragen und Verstörungen angemessen auszutauschen. Das ging ja schon mir so, wenn ich gepredigt und in Gesichter mit Masken geschaut habe, ohne irgendeine erkennbare Reaktion ablesen zu können. Das war höchst irritierend und hat mich stark verunsichert ...
Ähnlich erging es mir mit den Jugendlichen. Klärende Gespräche führt man nicht über Whatsapp oder am Telefon. Viele von ihnen haben sich aber in dieser Zeit gefragt: Wo ist in Kirche denn jetzt noch ein Raum für mich? Bei den Ministranten, die nicht mehr am Altar stehen sollten, kam doch einfach nur an: Mein Dienst ist nicht mehr vonnöten. Klar, dass dann Leute auch ganz weg bleiben. Die zuletzt mit viel Herzblut erarbeiteten Formate, bei denen sich die Verantwortlichen in der Jugendarbeit viel Mühe gegeben hatten, griffen mit einem Mal nicht mehr oder aber wurden ins Netz verlagert, was aber ja dann nicht dasselbe ist, weil – bei aller Liebe – dann doch jede Form der Gruppenerfahrung fehlt. Und da sind dann die Jugendlichen auch an einigen Stellen aus dem Blick geraten.
Ich sage das ohne Vorwurf an meine Mitbrüder und alle anderen, die die Verantwortung für Jugendseelsorge haben, aber wer ohnehin schon vorher keine große Affinität zu Jugendarbeit hatte – und noch weniger zu digitalen Formaten – hatte nun endgültig den Gesprächsfaden zu ihnen verloren. Jugendliche nehmen nun mal sehr sensibel wahr, ob sich jemand um sie kümmert und echtes Interesse hat ... [Dabei ist] die Sehnsucht nach Begegnung gerade bei den Jüngeren am Ende unermesslich groß.
DOMRADIO.DE: Ein anderes Stichwort: Digitalisierung. Inwiefern, glauben Sie, hat sie den Ist-Stand befördert?
Schwaderlapp: Der momentane gesellschaftliche Umbruch verdankt sich ja in erheblichem Maße der Digitalisierung. Die neuen technischen Möglichkeiten, mit denen gerade junge Leute noch einmal ganz anders umgehen, sorgen für Formen von Gemeinschaft, die unser normales raum-zeitliches Gefüge sprengen ... Im digitalen Raum ist unsere Welt kleiner geworden, wie die fast schon selbstverständlich gewordenen virtuellen Begegnungen mit Menschen in anderen Kontinenten zeigen ...
Wir haben in der Kirche seit Jahrhunderten Gemeinschaft stiftende Formate, jetzt kommt mit der Digitalisierung eine völlig neue Welt hinzu. Früher gab es in einem Ort eine Kapelle. Jetzt entstehen im Internet Mega-Städte. Meine Frage: Wo ist hier im digitalen Raum ein Ort für Gott und die Gemeinschaft der Gläubigen? Wo steht die Kapelle in der digitalen Metropole? Noch haben wir da Denkbarrieren. Die Kirche ist mit Pfarreien, Dekanaten und Sendungsräumen territorial organisiert. Wenn ich aber an einem virtuellen Taizé-Gebet teilnehme, spielen solche Grenzen keine Rolle mehr ... die eigentlich drängende Frage [ist]: Wo können Jugendliche heute in dieser hybriden Welt, in der sie leben, Christus treffen? Darauf muss Pastoral eine Antwort finden. Trotzdem: Auch das hat die Pandemie gezeigt – wie wichtig jungen Menschen echte Begegnung ist. Die Digitalisierung ist in unserer Welt ein relevanter Faktor geworden, das müssen wir auch in der Pastoral akzeptieren und berücksichtigen, aber sie ist weder Heilsbringer noch Dämon.
DOMRADIO.DE: Was braucht es, um für Jugendliche die Kirche mit allen ihren wichtigen Themen wieder attraktiv zu machen? Wie könnte eine Neuaufstellung der Jugendpastoral aussehen?
Schwaderlapp: Ich habe nicht den Anspruch, Kirche attraktiv "zu machen". Hier ist Christus und hier lässt sich Gemeinschaft finden. Das macht ihre Attraktivität aus. Wenn Christus hier nicht mehr gefunden werden kann, ist die Kirche überflüssig – Attraktivität hin oder her. Aber es braucht Orte, wo Jugendliche auf andere Jugendliche treffen, um ihr Leben und ihren Glauben miteinander zu teilen ...
Hier sehe ich eigentlich auch eine große Chance bei der Schaffung größerer pastoraler Einheiten: Sie zwingen dazu, über den eigenen Kirchturm hinaus zu denken, wenn es darum geht, junge Leute zu sammeln ... Das Jugendpastorale Zentrum "Crux" in Köln, auch in den anderen Städten unseres Bistums, ist ein Beispiel dafür ... Hierher kommen Jugendliche, die in ihrer Gemeinde vielleicht Firmkatechet sind, aber sich an diesem Ort treffen, weil sie selbst auch eine Peergroup für den Austausch benötigen. Sie müssen ja auch selbst irgendwo gestärkt werden.
DOMRADIO.DE: Vor ein paar Wochen haben die Deutschen Bischöfe ein neues Positionspapier mit dem Titel "Wirklichkeit wahrnehmen – Chancen finden – Berufung wählen" herausgebracht. Darin geht es ja nicht nur um die Berücksichtigung der Lebenswelten von Jugendlichen, neuer Techniken und Kommunikationswege, um sie noch zu erreichen, sondern auch ganz wesentlich um eine Ausrichtung auf Christus. Wie kann diese konkret im Erzbistum Köln aussehen?
Schwaderlapp: Diese Leitlinien haben ein erfreulich breites Verständnis von Jugendpastoral und verstehen sie als Ausdruck der "Hirtenfürsorge" der Kirche für alle jungen Leute. Das Erzbistum ist mit den Katholischen Jugendagenturen und ihren vielen Fachbereichen da schon total gut aufgestellt, wenn ich allein an die über hundert offenen Türen bei uns im Bistum und die unzähligen anderen Einrichtungen und Angebote denke. Und gleichzeitig können wir uns nicht einfach zurücklehnen und sagen: Haken dran.
Natürlich müssen wir uns fragen – und das tun wir auch: Ist alles auf Christus ausgerichtet, so wie die Bischöfe das betonen? Und was heißt das überhaupt? Ich sehe zum Beispiel eine wichtige Herausforderung darin, die vielen großartigen Menschen, die bei uns in der Jugendpastoral tätig sind, auf ihrem eigenen Glaubensweg zu begleiten, wenn wir gemeinsam als "evangelisierende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" unterwegs sein sollen. Und auch da wieder die Frage: Was heißt das zum Beispiel bei Streetworkern, bei Jugendreferentinnen, bei Jugendseelsorgern, "evangelisierend" zu arbeiten? Das ist ja ganz unterschiedlich.
Sich auf Christus ausrichten heißt für mich zuallererst, in jedem, dem ich begegne und der meine Hilfe braucht, Christus zu sehen, und zwar ohne dabei gleich einen Bibelvers aus der Hosentasche zu ziehen. Und erst später kommt die Frage: Wie spreche ich denn auch von meinem Glauben? Wir werden ganz unterschiedlich weiter daran arbeiten müssen, auskunftsfähig über unseren eigenen Glauben zu sein. Aber wenn wir gefragt werden, müssen wir eben sprechen können, denn dann wird das Implizite explizit. Aber nochmal den wichtigen Schritt zurück. Papst Franziskus fragt zu recht: Wie soll ich jungen Leuten von einem liebenden Gott erzählen, wenn sie ganz häufig eigentlich überhaupt kein Interesse erleben? Von daher: Am Anfang jeder Evangelisierung steht das Interesse am anderen Menschen.
Das vollständige Interview auf 👉 domradio.de.